Es ist noch gar nicht so lange her, das mit dem Karfreitagsabkommen ein blutiger und langwieriger Konflikt mitten im Herzens Europas beendet und eine bis heute anhaltende Phase des Friedens und der Versöhnung eingeleitet wurde. Das Abkommen vom 10. April 1998 beendete den in seiner heftigsten Phase seit 30 Jahren andauernden Bürger:innenkrieg in Nordirland, der viel Leid über die Menschen dort brachte, die Bevölkerung tiefgreifend spaltete und zahlreiche Menschenleben kostete. Doch worum geht es in dem Konflikt?
Die Kurzfassung des Nordirlandkonflikts (englisch: The Troubles): Es geht um eine Auseinandersetzung zwischen England (bzw. das Vereinigte Königreich) und Irland. Diese Kämpfe gehen historisch auf die englische Eroberung Irlands im Mittelalter zurück. In seiner Hochphase des Konflikts zwischen ca. 1968 und 1998 ging es dabei vor allem um einen Machtkampf zwischen Befürworter:innen des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland und Ir:innen, die ein geeinigtes Irland und eine Loslösung des nordirischen Teils von Großbritannien erzwingen wollten.
Breite Zustimmung der Bevölkerung für Abkommen
Gleichzeitig war dies auch ein religiöser Konflikt, standen sich dabei mehrheitlich katholische Unabhängigkeitskämpfer:innen und protestantisch-anglikanische Unionst:innen, also Anhänger:innen der Einheit Nordirlands mit Großbritannien, in blutigen Auseinandersetzungen gegenüber. In einem Teufelskreis aus Gewalt und Gegengewalt kam es immer wieder zu Anschlägen und Straßenschlachten mit zahlreichen Toten und Verletzten, darunter vielen Zivilist:innen. Erst mit dem in einem langwierigen Prozess zwischen vielen Akteur:innen ausgehandelten Karfreitagsabkommen nahmen die gewalttätigen Ausschreitungen ein Ende.
In einer Volksabstimmung votierten schließlich 71 Prozent der Nordir:innen und 94 Prozent der Ir:innen für das Abkommen. Irland verzichtete darin auf den Anspruch einer Wiedervereinigung, im Gegenzug soll diese per Referendum aller Nordir:innen möglich bleiben. Weitere Punkte zum Schutz des Friedensprozesses waren die Bildung einer gemeinsamen Regierung von Unionist:innen und Republikaner:innen sowie Entwaffnung, Haftentlassungen und eine Reduzierung der britischen Truppen im Land.
Mal Miteinander, mal Nebeneinander
Zwar gab es nach dem Karfreitagsabkommen noch einzelne Gewalttaten und Rückschläge im Friedensprozess, diese eskalierten nicht mehr wie in der Hochphase und hatten keinen Rückhalt in der Bevölkerung. Dennoch: Wenn man z.B. Belfast besucht, sind die alten Konfliktlinien im Stadtbild nach wie vor sichtbar, so leben die alten Gruppierungen pro-irischer Republikaner:innen und pro-britischer Unionist:innen größtenteils noch in separierten Wohngebieten, oftmals durch die ikonischen „Peace Walls“ abgetrennt. Auch gibt es nach wie vor kein gemeinsames Schulsystem für katholische und protestantische Schüler:innen und die Trennlinien werden auch hier sichtbar. Kurzum, die Wunden und Traumata des Nordirlandkonflikts sitzen bis heute tief. Nichtsdestotrotz blicken viele Menschen dort aktuell stolz auf eine ein Vierteljahrhundert andauernde Phase des überwiegend friedlichen Miteinanders und der Aufarbeitung des Konflikts zurück, was mit Blick auf die Jahrzehnte vor 1998 einen großen Fortschritt bedeutet. Die gesellschaftliche Aussöhnung ist seitdem auf einem positiven Weg, wobei vor allem der jüngeren und nicht mehr direkt von den Auseinandersetzungen betroffenen Generation eine wichtige Rolle zukommt.
Das Abkommen und der Brexit
Wie stabil ist der Frieden in Nordirland? Eine neue Herausforderung für die Friedensbemühungen stellt der 2016 beschlossene Brexit dar, also der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Im Zuge dessen musste auch die zuvor offene Binnengrenze zwischen Nordirland und der weiterhin zur EU gehörenden Republik Irland neu definiert werden. Das Grenzgebiet auf der irischen Insel soll aber laut dem Karfreitagsabkommen keine harte Grenze werden, um erneute Unruhen zu verhindern. Mit dem Nordirland-Protokoll wurde dafür vorerst eine Lösung gefunden, in dem die Grenze zwischen der EU und Großbritannien nun offiziell in der Nordsee verläuft. Nordirland gehört damit weiterhin zum Vereinigten Königreich und zum europäischen Binnenmarkt. Dennoch birgt dieser Prozess neues Futter, um die alten Konfliktlinien wieder aufbrechen zu lassen. 25 Jahre nach seiner Unterzeichnung hat das Karfreitagsabkommen nichts von seiner Bedeutung verloren.